Das Bernstein Teleskop

„Der Goldene Kompass“ wies den Weg zur Erkenntnis und offenbarte das Wissen um parallele Dimensionen. „Das Magische Messer“ diente dazu, Verbindungen zwischen diesen Welten herzustellen. Nun braucht es ein Instrument, mit dem man die tieferen Zusammenhänge erkennen kann, das, was wirklich hinter allem steckt. Zu diesem Zweck hat Philip Pullman „Das Bernstein Teleskop“ erdacht. Der dritte Teil seiner Fantasyreihe um Parallelwelten ist wie die beiden vorangegangen Werke als Hörbuch erschienen, gelesen von Routinier Rufus Beck.

von Simon Ofenloch

 

Lyra befindet sich in der Obhut ihrer Mutter. Marisa Coulter hält das Mädchen in einer Höhle im Himalaya versteckt. Will Parry, der Träger des „Magischen Messers“, ist auf der Suche nach seiner jungen Freundin. Ihm zur Seite sind Baruch und Balthamos, zwei rebellierende Engel, die Lord Asriels Kampf unterstützen. Den Kampf ums große Ganze, jene Schlacht, bei der Lyra eine besondere Rolle zugedacht ist. Von einer Prophezeiung ist die Rede. Und von Lyras Bestimmung. Von einer Rebellion gegen den Allmächtigen und seinen gefährlichen Regenten Metatron, den Obersten Engel, der danach trachtet, eine Schreckensherrschaft zu errichten, schlimmer noch als alles bisher Dagewesene. Der damit zusammenhängende Plan zur Einrichtung einer „ständigen Inquisition“ ist ganz im Sinne der Kirche. Und so schickt sie einen Assassinen auf Lyras Spur, der verhindern soll, dass sich die Prophezeiung erfüllt.

Will und Lyra finden schließlich wieder zusammen. Und stehen sofort wieder vor neuen Problemen. Um herauszufinden, was von ihnen verlangt wird, was ihr konkreter Beitrag zum großen, alles entscheidenden Kampf sein soll, müssen sie in eine ganz besondere Parallelwelt einsteigen: ins Reich der Toten. Und Lyra wird eine äußerst schmerzliche Tat vollbringen müssen: die willentliche Trennung von ihrem Dämonen Pantalaimon. Und dann existiert da noch das „Zeit-Problem“. Lange dauert es nicht mehr, bis das Kind zur Erwachsenen reift und angreifbar wird für die gefährlichen Gespenster, Wesen, die sich von den Seelen der Erwachsenen ernähren.

Doch es gibt auch neue Verbündete, allen voran die Wissenschaftlerin Doktor Mary Malone. Des Weiteren gutmütige Tierwesen namens Mulefa und das Zwergenvolk der Gallivespier, primär vertreten durch Chevalier Tialys und Lady Salmakia, sowie Lord Roke. Auch bekannte Hexen und Eisbären sind erneut mit von der Partie. Und selbst Tote kehren wieder. In einer letzten, großen Schlacht entscheidet sich das Schicksal aller Welten.

Zuerst war es die Geschichte von Lyra Belaqua. Dann kam Will Parry dazu. Nun gibt es eine dritte Hauptfigur: Mary Malone. Es scheint, als habe Philip Pullman mit jedem Roman der Reihe noch ein Pfund drauf packen wollen – größer, höher, weiter. Und schließlich hat er sich verzettelt. Den hohen – man möchte fast sagen: überhöhten – Anspruch, den er insbesondere mit dem dritten Teil an sich selbst gestellt hat, kann man auch an den Zitaten aus Werken der Weltliteratur ablesen, die den einzelnen Kapiteln des Romans „Das Bernstein Teleskop“ vorangestellt sind. Das gab es bei „Der Goldene Kompass“ und „Das Magische Messer“ noch nicht. Pullman plündert die Bibel, John Miltons „Paradise Lost“ und die Schriften von William Blake. Er zitiert, verweist, ironisiert. Und merkt vielleicht gar nicht, wie grausam er dabei vorgeht. Am Ende bleibt eine gar nicht hoffnungsvolle Abrechnung mit dem Wesen des Menschengeschlechts, eine trockene, illusionslose und illusionsraubende Deutung des Lebens und seines tieferen Sinns. Am Ende bleibt eine Welt, in der sogar Gott sterben muss. Und es ist ein anderer Gott als der, von dem die Kirche spricht. Es ist ein alter, gebrochener Mann.

Originell ist das allemal, und zugute halten muss man Philip Pullman auch, dass er es geschafft hat, das ewig gleiche Gut-gegen-Böse-Schema der breiten Fantasyliteratur aufzubrechen. Nahezu alle Figuren wirken ambivalent. Die Grundidee einer Auseinandersetzung mit dem Glauben, mit Religion und Kirche, ist auch äußerst interessant, die institutionelle Kirche auch jenseits von Dan Brown-Verschwörungen ein spannender Gegenspieler, doch hätten ein weniger verworrener Weltenentwurf und etwas weniger Nihilismus in der finalen Ausdeutung der Reihe sicher gut getan.

Nichts zu mäkeln gibt es an der Hörbuchumsetzung. Auch der dritte Teil der Geschichte ist wieder überzeugend erzählt von Stimmgenie Rufus Beck, der sprachlich gewandt in viele verschiedene Rollen schlüpft. Wie bereits beim zweiten Teil finden sich bei „Das Bernstein Teleskop“ auf der letzten CD der Geschichte angehängte „Laternenbilder“, „Bonustracks“, die allerdings auch entbehrlich wären. In der Gestaltung der CD-Box ist man konsequent geblieben. Obwohl sie bisher nur in der Verfilmung des ersten Bandes gespielt hat, schmückt die Schauspielerin Dakota Blue Richards nun die Cover aller drei Teile.

Fazit: Für jene, die Trost finden im religiösen Glauben und insbesondere im Schoß der christlichen Kirche, muss Philip Pullman der Beelzebub sein. Mit dem dritten Teil seiner Fantasyreihe um Parallelwelten geht er endgültig in die Vollen, demontiert en passant sämtliche christliche Überzeugungen und präsentiert eine Fantasygeschichte, die abschließend befremdlich rationale und schrecklich ernüchternde Postulate aufstellt. Ein Kinderbuch ist das am Ende nicht mehr, eher ein Philosophie-Traktat. Interessant, aber sicher nicht jedermanns Geschmack. Rufus Beck macht in der Hörbuchfassung das Beste draus.


Das Bernstein Teleskop
Ungekürzte Lesung nach einem Roman von Philip Pullman
Rufus Beck (Erzähler)
Hörbuch Hamburg 2008
ISBN: 978-3-86742-022-8
16 CDs, 1180 min., deutsch
Preis: EUR 39,95

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