Carnegie

In „Carnegie“ wollen wir es dem US-Stahl-Magnaten Andrew Carnegie gleich tun und ein gut funktionierendes Wirtschaftsimperium in den USA aufbauen. Er galt zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert als einer der reichsten Industriellen der Welt. Und auch als Menschenfreund machte sich der schottische Einwanderer einen Namen.

von Oli Clemens

Genau zwanzig Spielzüge haben wir Zeit, um in „Carnegie“ die meisten Siegpunkte zu sammeln. Das gelingt uns, indem wir unsere Meeple-Crew in unserer Personalabteilung effizient einsetzen und neue innovative Abteilungen gründen, an zahlreichen Standorten in den USA ein Netzwerk von Projekten errichten und durch gezielte Forschung und Entwicklung die Infrastruktur in allen relevanten Bereichen unseres Unternehmens verbessern. Und wir würden nicht in den Fußstapfen des historischen Mr. A. Carnegie wandeln, wenn nicht auch Spenden zu unserem spielerischen Vermächtnis beitragen würden.

Den Aufbau für eine Partie „Carnegie“ teilt man sich am besten auf. Es gibt drei große Spielbereiche, die man organisiert. Da ist das zentrale Spielbrett, das die Karte der USA zeigt. Es ist in vier geografische Zonen eingeteilt, die sich farblich voneinander unterscheiden. Zwischen San Francisco im Westen und New York im Osten liegen knapp 30 Städte, die wir für unsere kapitalistischen Pläne erreichen wollen. Dort werden wir im Verlauf des Spiels immer, wenn wir ein Projekt realisieren, eine unserer farbigen Scheiben einsetzen. Das wird Einkommen bringen und wertvolle Siegpunkte zum Schluss.

Irgendwo auf dem Tisch sollte außerdem der Zeitplan liegen, auf dem die Aktionen ausgewählt werden. Und alle richten sich auch noch den persönlichen Spielbereich ein. Dieser zeigt deinen eigenen Firmensitz und ist der Ort, an dem du die wichtigen Entscheidungen für das Wohlergehen deines Konzerns fällen wirst. Dort finden alle Spieler schon fünf aufgedruckte Fachabteilungen, um verschiedene Aktionen ausspielen zu können, aber es ist auch noch reichlich Platz, um neue Abteilungen gründen zu können. Auf dem Firmensitz werden jetzt noch jeweils 10 Meeple in der eigenen Farbe verteilt. Fünf davon stehen schon in den Abteilungen und warten darauf, direkt loslegen zu können. Die anderen 5 lungern in der Lobby und warten auf Arbeit. Klar ist: Nur aktive Meeple bringen dem Unternehmen das notwendige Kapital und Arbeitskraft, um zu wachsen und zu gedeihen.



Für die persönlichen Spieltableaus gibt es noch einen besonderen Clou. An ihrer rechten Seite werden Projektstreifen bis zum Anschlag eingeschoben. Diese repräsentieren die Firmenbereiche „Wohnen“, „Handel“, „Industrie“ und „Öffentliche Infrastruktur“. Auf das Ende, das jetzt noch herausschaut, werden Holzscheiben gelegt. Sie stehen für die zukünftig realisierten Projekte auf der Amerika-Landkarte. Je weiter wir die Streifen im Verlauf des Spiels wieder herausziehen dürfen und je mehr dieser Scheiben auf der Landkarte platziert werden, desto besser für uns. Dann läuft die Cash- und Warenmaschine!

Für eine Partie „Carnegie“ braucht man schon reichlich Platz auf dem Tisch. Um den Aufbau herum liegt noch eine Menge Geld in Form kleiner Dollarnoten und Holzwürfelchen, die Waren darstellen. Und zum Schluss legt man noch die Fachabteilungen aus, die man im Verlauf des Spiels in die eigene Firma integrieren will.

Wer denkt, dass jetzt endlich gespielt wird, täuscht sich, denn noch bevor der erste Zug überhaupt gemacht wird, fällen wir zwei schicksalsträchtige Entscheidungen für unser Unternehmen. Zum einen dürfen wir uns eine von etwa zwanzig unterschiedlichen neuen Abteilungen für unseren Firmensitz reservieren. Zum anderen legen wir eine erste Scheibe vom Projektstreifen mit den Wohnprojekten in eine Stadt auf den Spielplan. Beides kann schon präzise, strategische Auswirkungen auf das eigene Spiel haben. Grübler können schon hier locker zehn Minuten verbringen, um ihre optimale Startvoraussetzung auszutüfteln. An dieser Stelle sei schon mal gesagt: „Carnegie“ hat eine steile Lernkurve, und jede Erfahrung aus einer vorhergehenden Partie macht dich in der nächsten besser. Was auch nach und nach besser klappt, ist die Vielzahl von Symbolen auf den unterschiedlichen Bereichen des Spiels voneinander unterscheiden zu können. Die Menge an Zeichen ist für Einsteiger echt herausfordernd, aber nach drei bis vier Spielrunden erkannt man, dass da eine ausgeklügelte und logisch nachvollziehbare Bildsprache geschaffen wurde. Genug der Vorbereitungen – jetzt geht’s los!



Eine Runde in „Carnegie“ ist klar gegliedert. Es wird reihum gespielt und wer an der Reihe ist, hat die schwarze Startspieler-Lok und den orangenen Zeitplan-Marker. Der wird auf dem Zeitplan eingesetzt und löst ein Ereignis aus. Ist es eine Spende, sollte man schon mal sein Geld zusammenkratzen. Dadurch kann man sich nämlich attraktive Sondersiegpunkte zum Spielende sichern. Je öfter man aber spenden will, desto mehr Geld muss man in die Hand nehmen. Weitaus häufiger als die Spende aktiviert das Ereignis eine der vier farbigen Regionen auf der USA-Karte. Dann prüft man, ob man schon eigene Arbeiter in dieser Region warten. Entscheidet man, diese in die Zentrale zurückzurufen, bringt das dem Unternehmen Einkommen. Wieviel genau das ist, liest man von einer Transportleiste auf dem Spielplan ab. Das können kleinere oder größere Geldbeträge sein, Warensteinchen, neue Mitarbeiter oder auch ein paar Bonus-Siegpunkte. Klar ist, dass man erst die Leiste pushen muss, damit die Einkünfte wachsen. Zusätzlich werfen auch alle Felder auf den Projektstreifen im Hauptgebäude ihr Einkommen ab, von denen man schon die runden Holzscheiben entfernen konnte. Auch wenn das Zurückholen eines eigenen Arbeiters nur eine simple Handbewegung bedeutet – im Kopf beginnt die große Effizienz-Rechnerei! Außerdem riskiere ich auch immer wieder einen Blick auf den Zeitplan, um zu prüfen, wann diese Region erneut aktiviert werden kann. Vorplanen ist ein wichtiger Faktor im Spiel. Jetzt entpuppt sich „Carnegie“ als das, was es am besten kann: mein Gehirn ordentlich durcheinander wirbeln, bis ich mich endlich entschieden habe.

Die Aktion des Spielers ist aber noch nicht abgeschlossen, denn außer dem Gebiet werden nun alle Abteilungen im eigenen Firmensitz aktiviert, die das gewählte Symbol tragen. Ist es der Marker, der eine Skyline zeigt, kann ich Mitarbeiter in die Regionen schicken und dort neue Projekte bauen lassen, vorausgesetzt, ich habe genügend Warenmarker vorrätig. Der Marker mit dem Organigramm wirft den Verwaltungsmotor an und sorgt dafür, dass ich neue Abteilungen in meinen Firmensitz einbauen kann oder Mitarbeiter Geld generieren. Der Meeple-Marker lässt mich meine wartenden Mitarbeiter endlich einsetzen. Dann schicke ich sie in verschiedene Abteilungen meines Hauptquartiers. Mit der Lobby-Lümmelei ist es dann vorbei und es wird gearbeitet! Der Marker, der am ehesten an ein Fließband erinnert, lässt mich entwickeln und forschen. Dann kann ich die Projektstreifen Stück für Stück herausziehen, um weitere Projekte zu ermöglichen, oder die Marker in den Transportleisten der verschiedenen Regionen so schieben, dass meine Mitarbeiter bessere Erträge generieren, wenn sie vom Spielplan in die Firma zurückkehren.

Zur Erinnerung: Je mehr Abteilungen mit dem gleichen Symbol ich in meinem Unternehmen habe, desto mehr läuft der Laden, da alle vorhandenen Abteilungen mit dem ausgewählten Symbol aktiviert werden. Dabei kann ich die Aktionen so oft nutzen, wie ich arbeitsfähige Mitarbeiter dort habe. Spätestens jetzt raucht und qualmt der Kopf. „Carnegie“ ist definitiv ein Expertenspiel, in dem jeder Zug auf Effizienz geprüft sein will. Ist dieser Doppelschritt aus „Ereignis abspielen“ und „Abteilungen nutzen“ für alle beendet und das Zeitplaner-Board angepasst, wandert die Lokomotive mitsamt dem orangenen Zeitplanmarkers im Uhrzeigersinn weiter und die nächste Runde beginnt. Zum Glück kann ich über den Zeitplaner eine gewisse Planbarkeit meiner Aktionen erreichen. Und ein Blick zu meinen Gegenspielern lohnt sich auch immer. Nach einer Zeit erkennt man, worin wohl deren nächste Aktion bestehen wird.



In diesem Rhythmus spielen wir alle genau 20 Runden. Je nach Personenzahl kann ich fünf- bis zehnmal entscheiden, welche Aktionen aktiviert werden, aber ich profitiere auch immer von dem, was die anderen aussuchen. Es gibt für mich also immer was zu tun. Deswegen ist die Wartezeit für ein Spiel in dieser Komplexitätsstufe auch eher gering. Wieder ein Pluspunkt, denn machen wir uns nichts vor: Analyse-Paralyse ist in einem Spiel für niemanden ein Genuss.

Am Ende der zwanzigsten Runde wird abgerechnet. Hier ähnelt „Carnegie“ zwar dem üblichen Punktesalat anderer komplexer Euro-Games, ist aber außerordentlich transparent und auch schnell erledigt.

Punkte gibt es für eigene Holzscheiben auf dem Spielplan, für miteinander verbundene Großstädte in Abhängigkeit zu dem Erreichen von Positionen auf den Transportleisten in den vier Regionen, für gebaute Abteilungen und aktive Mitarbeiter. Auch der Fortschritt auf dem Projektstreifen kann Punkte bringen, und dann gibt es ja noch die Sonderpunkte durch die Spenden. Am Schluss gewinnt natürlich die Person, die auf der Punkteleiste am weitesten vorn steht.

Gute drei Stunden für eine Partie solltet ihr schon einrechnen. Es gibt immer etwas zu tun, etwas zu optimieren und zu planen. Das fühlt sich wirklich kurzweilig an, da ich andauernd an meiner eigenen Strategie zum Sieg tüfteln kann.
Das Material, mit dem wir spielen dürfen, ist richtig gut. Vor allem die Spieltableaus, auf denen ich mein Hauptquartier und dessen Abteilungen manage, möchte ich dabei erwähnen. Sie sind schlicht in ihrer graphischen Gestaltung und erinnern durchaus an einen Bürokomplex, aber der Einschiebe-Mechanismus ist großartig. Im Vergleich zu dem opulenten Material kommen dagegen die Geldmarker und Warensteinchen optisch bescheiden daher. Das tut dem Spielgefühl aber keinen Abbruch. Sehr gefällt mir die Gestaltung des Hauptspielplans mit der USA-Karte. Nicht nur, dass ich endlich ein bisschen mehr Ahnung von der Verteilung der Städte bekomme, sie ist, den Lebensdaten Carnegies entsprechend, in der künstlerischen Epoche des Jugendstils gestaltet. Schaut euch ruhig mal den Bereich der Spenden und die Punkteleiste an, dann seht ihr es vielleicht auch.



Die Anleitung ist sachlich, klar und nachvollziehbar. Beispiele erläutern jede Phase des Spiels. Das sorgt dafür, dass man schnell losspielen kann. Alle wichtigen Symbole sind genau erklärt und für alle Spenden- und Abteilungssymbole gibt es einen Anhang mit Erläuterungen. Das ist top!

Fazit: „Carnegie“ ist ein Expertenspiel vom Feinsten, wenn man auf Planbarkeit, Wirtschaftsthema und die USA steht. Das Spiel vereint so viele unterschiedliche Mechaniken, dass es eine reine Freude ist, sich an den Tisch zu setzen. Dabei kommt man leicht ins Spiel, wenn man sich anfänglich die Zeit für die Regeln und die Symbolsprache nimmt. Der Spielablauf ist klar strukturiert, und es bleiben ganz selten Momente der Unsicherheit, in denen man nicht weiß, was man jetzt genau machen kann. Die Wartezeiten sind im Gegensatz zu anderen Spielen in dieser Gewichtsklasse sehr reduziert. Einige Aktionen spielt man sogar parallel. Das gibt das Gefühl, immer in das Geschehen involviert zu sein. So vergehen drei Stunden Spielzeit wie im Flug. Und sogar ein Solo-Modus ist verfügbar, wenn man sich gar nicht mehr von dem Spiel trennen kann.

Carnegie
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Xavier Georges
Pegasus Spiele 2022
EAN: 4250231730849
Sprache: Deutsch, Englisch
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