Before Watchmen: Minutemen

Im Jahr 1986 erschienen zwei Comic, die – jeder auf seine Weise – das Ende der Unschuld in den Superhelden-Comics einläuteten. Frank Millers „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ zeigte den Lesern einen gealterten und von Zweifeln heimgesuchten Batman, „Watchmen“ von Alan Moore und Dave Gibbons holte mithilfe einer eigenen Heldengruppe gleich alle Superhelden vom Sockel und führte sie als schwach, fehlbar und getrieben vor. Nach mehr als 30 Jahren bringt Panini Comics nun, in Übersetzung von DC, eine Reihe Prequel-Bände zu dem Epochenwerk „Watchmen“ heraus.

von Frank Stein

„Before Watchmen“ heißt das ambitionierte Projekt, zu dem einige namhafte aktuelle Comic-Künstler beigetragen haben, etwa  J. Michael Straczynski, Brian Azzarello und Darwyn Cooke. Die Idee, Prequels oder Sequels zu „Watchmen“ zu schreiben, existierte bereits seit dem ursprünglichen „Watchmen“-Comic, allerdings wurde nie etwas daraus, und vor allem Alan Moore hat sich, nachdem DC das Projekt offenbar jahrelang verschleppt hat, mittlerweile nachdrücklich davon distanziert. Für ihn stellen die neuen Comics schlichtweg die kommerziell begründete Ausbeutung und die Verwandlung eines singulären Comic-Werks in ein beliebiges Franchise dar.

Mit dieser Aussage tut er zumindest Darwyn Cooke und seinem „Minuteman“-Comic unrecht. Natürlich sind Superhelden mit dunklen Geheimnissen und einer kaputten Psyche heutzutage nichts Neues mehr. Trotzdem ist „Minutemen“ mehr als nur irgendein Comic von der Stange. Mit jeder Seite merkt man dem Autor seine Liebe zu dem Projekt an. Das beginnt bei der bewusst altmodisch wirkenden Gestaltung der Optik, die sowohl an den ursprünglichen „Watchmen“-Comic erinnert, als auch an die klaren Linien alter Superheldengeschichten. Es setzt sich fort in der runden, gut durchdachten und auch ohne jede Vorkenntnisse lesbaren Story. Und zuletzt zeugen zahlreiche Verweise auf Moores und Gibbons’ Werk von Cookes Begeisterung für die Vorlage.

Die tragische Geschichte ist auf zwei Ebenen angesiedelt. Im Jahr 1962 möchte der einst als Nite Owl bekannte Ex-Held Hollis Mason ein biografisches Buch unter dem Titel „Unter der Maske“ veröffentlichen, das die strahlende Fassade der Vergangenheit einreißen und die ganze Wahrheit hinter dem schleichenden Niedergang der titelgebenden Minutemen enthüllen soll. Es scheint ihm dabei um seinen Seelenfrieden zu gehen, ein Ansinnen, das keiner seiner alten Kollegen nachvollziehen kann. Jeder versucht auf seine Weise Mason, der seine Karriere als Polizist begann und von einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn angetrieben wird, die Veröffentlichung des Skandalwerks auszureden.

Warum dem so ist, erfährt der Leser in zahlreichen Rückblenden, die sozusagen den Inhalt des Buchs – und damit explizit Masons Sicht der Dinge – widerspiegeln und die 13-jährige Karriere der Minutemen nacherzählen. Schon die Gründung steht unter einem fragwürdigen Stern, denn für den Initiator der Truppe, Captain Metropolis, ist das Ganze erst einmal nur gute PR. Einzelne Helden mögen durchaus die Aufmerksamkeit der Presse auf sich ziehen, aber eine ganze Truppe hat noch viel mehr Möglichkeiten. Und so trommelt er eine bunte Mischung aus Selbstdarstellern, Psychopathen und Gerechtigkeitsfanatikern zusammen, von denen kaum jemand ohne Fehl ist. Eine Weile läuft es auch ganz gut für die Minutemen, doch mehr und mehr tun sich Abgründe auf, die den maskierten Recken zu verschlingen drohen.

Diese Abgründe mögen vielleicht der einzige Kritikpunkt der Geschichte sein. In dem Bestreben, es an Düsterkeit und Abgründigkeit mit Moore und Gibbons aufzunehmen, bewegt sich Cooke nahe entlang des Overkills. Zwei der Helden führen eine heimliche schwule Beziehung, eine dritte hat ebenso im Verborgenen eine lesbische Freundin (was, obwohl heutzutage kaum eine Erwähnung wert, von Cooke im zeitgenössischen Umfeld als höchst brisant inszeniert wird). Selbstverliebtheit, Gewalttätigkeit und Drogensucht finden sich in den Reihen der Minutemen ebenso, wie Neid und Misstrauen. Und dann ist da natürlich noch ein Ex-Nazi, der seinerzeit Kinder misshandelt und getötet hat und davon auch heute nicht loskommt. Das ist alles in allem schon ziemlich viel gewollter „Schock“. Trotzdem – oder vielleicht deswegen – funktioniert die Story sehr gut. Man ist regelrecht gefesselt von ihr und kann sich erst lösen, nachdem man die Cover-Galerie durchgeblättert und das Nachwort von Übersetzer Peter Thannisch gelesen hat.

Fazit: Alan Moores Kritik in allen Ehren: Im Fall von Darwyn Cookes „Before Watchmen: Minutemen“ ist sie unbegründet. Der Comic sieht nicht nur gut aus, er erzählt auch eine eindringliche Geschichte, die sowohl innerhalb des „Watchmen“-Universums als auch für sich alleine stehend großartig funktioniert. Allen, die Superhelden-Comics mögen, sei dieses Werk schwer ans Herz gelegt.


Before Watchmen: Minutemen
Comic
Darwyn Cooke
Panini Comics 2013
ISBN: 978-3-86201-479-8
180 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 16,95

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