Astral Realms

Die Astralebene wird von den Träumen der Menschheit und der Welt gebildet und teilt sich in drei Teile: Oneiros, Temenos und die Anima Mundi. Magiern ist es mit den richtigen Zaubersprüchen leicht, sich in diese Traumwelten zu begeben – zur Selbstfindung, Entdeckung alter Geheimnisse oder um das Wesen der Magie zu enträtseln. „Astral Realms“ ist das Quellenbuch zu diesen Ebenen und liefert exzellente Beschreibungen und Kampagnenaufhänger.

von Nicolas Hohmann

 

Geziert von einem in Grün- und Brauntönen gehaltenen Titelbild, auf dem ein Mann zu sehen ist, der in einen Abgrund gezogen wird, kommt dieses 192 Seiten starke Quellbuch für „Mage: The Awakening“, das sich mit der Astralebene beschäftigt, daher. Wie gewohnt handelt es sich um einen Hardcoverband, die Qualität des Frontcovers ist wie gewohnt hoch, die der Innenabbildungen – typisch für „Mage“ – eher schlechter. Zum Einstieg in die Thematik gibt es die Kurzgeschichte „Doors“, die von einer Traumreise handelt, bei welcher der Magier seinen inneren Dämon jagt. Anschließend kommt der Index und die obligatorische Doppelseite Einführung, wo geklärt wird, worum es überhaupt in „Astral Realms“ geht und wie man das gebotene Quellenmaterial nutzt.

Das erste Kapitel nennt sich „shaping the mist“. Hier wird die Funktionsweise von Magie in den verschiedenen Teilen der Astralebene behandelt. Prinzipiell wird Magie genauso wie in der normalen Welt gewirkt, also ein Lastwagen ist ein Lastwagen, ein Hund ist ein Hund und wird dementsprechend so behandelt. Da die Astralebene prinzipiell die Traumwelt ist, wird alles noch um eine metaphorische Dimension ergänzt. Um den Effekt eines Zaubers abschätzen zu können, muss sich der Erzähler also auch über die Bedeutung eben jenes Lastwagens oder Hundes in der aktuellen Geschichte und über den Kontext bewusst sein und das dementsprechend einflechten. Wie man das bewerkstelligt und sich vorstellen kann, wird gut und mit zahlreichen Beispielen erläutert. Es folgen eine Menge neuer Zaubersprüche, welche Reise, Kampf und spezielle Situationen in der Astralebene vereinfachen.

Kernstück des Quellenbuches ist das Kapitel „Mapping the Impossible“, das eine Beschreibung der Astralebene enthält. Die Astralebene ist dabei eigentlich dreigeteilt, und zwar in Oneiros, der Traumwelt eines jeden indivuellen Menschen, Temenos, das durch das kollektive Unterbewußtsein der Menschheit und den darin herrschenden Vorstellungen geformt wird, und die Anima Mundi, dem Traum der Welt vom Baum hin bis zum Stein und dem Weltall. Aufgrund seiner Natur ist eine Reise durch Oneiros eher introspektiver Natur. Durch Meditation und die richtigen Zaubersprüche gelangt der Magier samt Gefährten, wenn gewünscht, in ein Vestibulum, einen Vorraum zum eigentlichen Traum, der noch für alle gleich ist. Oneiros selbst ist für jeden Menschen unterschiedlich, erlaubt es aber, verschüttete Erinnerungen und Erfahrungen nocheinmal zu durchleben, sich seinen Sünden und Lastern zu stellen und seine inneren Dämonen zu bekämpfen. Doch Vorsicht! Innerer Dämon ist hier durchaus wörtlich gemeint. Eine Sitzung, in der eine Reise durch das unterbewusste Selbst eines Charakters gespielt wird, ist eine sehr intensive, auch vorbereitungsintensive Spielsitzung, die Spielern und Erzählern einiges an Kreativität abverlangt. Anhand einer Beispielreise wird erklärt, wie man um das persönliche Oneiros eine Geschichte weben kann, Mühe macht es in jedem Fall.

Anschließend wird Temenos besprochen. Temenos ist prinzipiell unendlich groß und besteht aus unendlich vielen Reichen. Ein Reich ist ein Themenkomplex, zu dem im kollektiven kulturellen Gedächtnis der Menschheit eine Idee oder Vorstellung vorhanden ist. Zu einem Themenkomplex gibt es meistens (da die Vorstellungen über eine Sache durchaus auseinander gehen können beziehungsweise ein Thema auch unterschiedliche Facetten aufweisen kann) mehrere Reiche – in der Theorie unendlich viele. Beispielsweise kann ein Reich des Kampfes ganz unterschiedliche Formen annehmen: Orientiert es sich an dem ehrbaren Kampf Mann gegen Mann, vielleicht am Kampf um das Überleben in der wilden Natur oder an den Schrecken des voll-industrialisierten Kampfes in den Gräben des ersten Weltkrieges? Genauso ist es mit den Gestalten, die man in Temenos antreffen kann. Einen Albert Einstein, wie ihn sich die meisten Menschen vorstellen, kann man hier genauso treffen, wie Robin Hood oder verschiedene Versionen von Jesus. Für die Reise im Temenos zwischen seinen einzelnen Reichen benötigt man ein Gefährt und eine gewisse Zeit, die mit der thematischen Verbindung eines Reiches zum anderen hat. Für Magier richtig interessant sind die verstreuten Geheimnisse rund um das alte Atlantis und die Gerüchte über ein Reich von Atlantis, das auf originären Vorstellungen basiert. Das vierte Kapitel wird nochmal unterschiedliche Reiche vorstellen.

Anima mundi ist ebenfalls durch einen kollektiven Traum gekenntzeichnet und in verschiedene Bereiche unterteilt.Was diesen Teil jedoch formt, ist der Traum der Welt und seiner Bestandteile, also zunächst der Tiere, dann der Pflanzen, der Steine, der Luft und des Weltalls – je weiter man sich von Ähnlichkeiten zum Menschen wegbewegt, desto gefährlicher wird die Traumwelt für einen Reisenden. Diese Gefahr manifestiert sich in Form des ekstatischen Windes, der die Persönlichkeit eines Magiers hinwegerodieren kann, und wird umso stärker, je mehr man sich nach außen wagt. Doch ganz außen, im „Whorl“, am Rand zum großen Nichts, stehen die Zitadellen der Herren über die einzelnen Arcana. Und ein Magier, der es bis hierhin hinaus schafft und vor diese Herren tritt, darf es sogar zu hoffen wagen, ihnen Fragen stellen zu dürfen.

Das dritte Kapitel „Denizens and Things“ enthält genau dieses: Kreaturen, denen man in der Astralebene begegnen kann, und Artefakte, die geborgen werden können. An Kreaturen, die diese merkwürdigen Reiche besiedeln, findet man beispielsweise verschiedene Dämonen, die sich in das Oneiros eines Magiers einnisten können. Es gibt „The Engine“, ein mörderischer Zug, der durch Temenos jagt, um Leute plattzufahren oder auch „Dahhak, Aeon Syzgy of Pandaemonium“, den Herrscher über die Arcana Geist und Raum. An Artefakten gibt es beispielsweise die „astral bubble“, die im Astralleib eines Reisenden versinkt und ihn in der Astralebene gefangen hält – heimtückisch.

Kapitel vier nennt sich „Dreamquest“ und ist ein Kapitel, das sich an den Erzähler wendet. Hier werden nochmal Hinweise und Tipps gegeben, wie man Geschichten und Chroniken in den „Astral Realms“ leitet. Praktisch sind die Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Worksheets, welche gute Fragen und Punkte enthalten, die es zu beachten gilt.

„Realms“ befasst sich dann als abschließendes Kapitel mit einzelnen konkreten Reichen, die in der Astralebene zu finden sind. Geboten werden jeweils eine ausführliche Beschreibung, ein paar Kreaturen und dann Ideen, wie man ein Abenteuer in diesem Reich gestalten könnte. Insgesamt enthält „Astral Realms“ sechs Reiche:

„Alkahest“ ist ein Reich, in dem blind einer Ideologie gefolgt wird. Die Ideologie ist dabei egal, sie wird vom König bestimmt, der jeder werden kann, der den Thronsaal für sich erobert. Daraufhin marschieren dann die drei großen Armeen los, um alle Reiche von Temenos unter ihre Vorherrschaft zu bringen. „The Infested Dreams of John Hathorne“ ist das persönliche Oneiros des „Banishers“ Hathorne, der sehr gottesfürchtig ist und in steter Angst lebt bei seiner heiligen Mission zu versagen. Dumm nur, dass er nicht mehr der Herr über sein Unterbewusstes ist, seitdem sich dort ein Wechselbalg eingenistet hat. „The Subrealms of Mars“ sind eine Beschreibung aller möglichen Formen, die ein dem Thema Mars gewidmetes Reich in Temenos annehmen kann – von einer toten roten Wüste über einen terraformten Planeten mit Kuppelbauten bis hin zum Überlebenskampf der Menschheit gegen Marsianer im Stile von 50er-Jahre-SF-Filmen.

„The Many Realms of Metropolis“ sind die Traummanifestation des Themas Großstadt, also von einer mittelalterlichen Stadt hin bis zur Cyberpunk-Arcologie ist alles zu finden – und Atlantis war ja schließlich eine Stadt. „The Realms of Death“ sind die Traumreiche zu den verschiedenen Vorstellungen über den Tod. Wer also das Bedürfnis hat, mit Anubis oder dem Sensenmann zu plaudern, der kann hierhin einen Abstecher machen, sollte aber darauf achten, nicht in die „Void“ zu geraten – denn hier ist der Tod die Abwesenheit von allem: Geräusche, Berührung, Empfindung. „The Wellspring“ ist ein Reich, in dem Tiere oder allgemein Lebewesen, indem sie vom Brunnen der Erkenntnis trinken, Bewusstsein und Intellekt erreichen, um daraufhin eigene Reiche zu errichten, die jedoch immer dem Untergang geweiht sind.

Fazit: Abschließend muss man sagen, dass es sich bei „Astral Realms“ um ein sehr gutes und spannend geschriebenes Quellenbuch handelt. Wenn man eine Chronik, die sich auf die Astralebene fokussiert, leiten möchte, so muss man quasi zugreifen, so reich an Ideen und Material ist dieses Buch. Wer aber auch nur ein paar Abstecher in die Astralebene machen will oder sich nur über den metaphysischen Überbau und das Wesen der Magie in „Mage: The Awakening“ informieren möchte, kann sich das Buch auch kaufen. Es gehört sicherlich zu den guten „Mage“-Büchern, die ein Erzähler gelesen haben sollte.


Astral Realms
Quellenbuch
A. Freed, P. Schaefer, M. Sheppard, J. Snead
White Wolf 2007
ISBN: 978-1-588464354
192 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,99

bei amazon.de bestellen