Apokalypsen

In ihren Abenteuern begeben sich die Investigatoren auf schreckliche Reisen in die Welt des Mythos und stoßen dabei auf grausame Kulte und bewusstseinszerfetzende Gottheiten, die danach trachten, unsere Welt in den Abgrund zu reißen. Oftmals gelingt es, die Anrufung der Gottheit zu verhindern. Aber was geschieht, wenn die Investigatoren scheitern? Was geschieht, wenn die Sterne richtig stehen und sich der Große Cthulhu leibhaftig aus den Fluten des Pazifiks erhebt?

von Oliver Adam

Genau dies erleben die Investigatoren in dem edlen Cthulhu Hardcover-Band „Apokalypsen“ am eignen Leib. Auf rund 200 Seiten macht das Buch fünf Apokalypsen für das „Cthulhu“-Rollenspiel spielbar, in denen unterschiedliche Gottheiten die menschliche Welt zur Spielwiese übernatürlichen Terrors machen. Ein ergänzender Quellenteil greift das Spielen in der Apokalypse auf und bietet Anregungen für Runden in der Endzeit.

Den Auftakt macht der Quellenteil „Am Ende aller Tage – Spielen in der Apokalypse“, der auf rund 30 Seiten die Besonderheiten der Charaktererschaffung in einer apokalyptischen Welt sowie damit verbundene neue Fertigkeiten beschreibt. Darüber hinaus bietet er dem Spielleiter eine Fülle an Anregungen, wie eine eigene Apokalypse erschaffen werden kann. Ein besonderes Augenmerk wird dabei darauf gelegt, wie unterschiedlich sich die Apokalypsen bei verschiedenen Gottheiten gestalten und was in den ersten hundert Tagen ihrer blutigen Herrschaft geschieht. Wer schon immer wissen wollte, wie die von Cthulhu, Atlach-Nacha oder Tsathoggua ausgelöste Apokalypse aussieht, wird hier fündig.

Dabei bleibt die Umschreibung aufgrund der Vielzahl der vorgestellten Gottheiten (rund zwei Dutzend) eher oberflächlich. Für eine eigene Mythos-Endzeitkampagne muss der Spielleiter hier noch einiges an Arbeit investieren. Fokus des Kapitels sind ausschließlich mythosinduzierte Apokalypsen. Von Menschen hervorgerufene Apokalypsen oder apokalyptische Vorstellungen aus dem Judentum, Christentum oder Islam werden leider nicht abgedeckt. Diese Stoßrichtung hätte ich – insbesondere in Verknüpfung mit dem Mythos – sehr spannend gefunden, allerdings hätte dies vermutlich den Rahmen des Bandes gesprengt. Insgesamt bildet der Quellenteil einen sehr guten Einblick in die Mythos-Apokalypsenwelt.

Im ersten Abenteuer „Kaltes Licht“ werden die Investigatoren mit einer lokalen Apokalypse in dem fiktiven Küstenort Sealport an Alaskas Küste konfrontiert, den der auferstandene Große Alte Rlim Shaikorth mit übernatürlicher Kälte überzieht. Dieses „Kalte Licht“ gefriert alles und jeden, sodass untote Eisleichen die Stadt auf der Suche nach Opfern durchstreifen. Ein Minennetzwerk unter der Stadt bietet fürs Erste eine Zuflucht, in der sie auf Überlebende der Katastrophe treffen. Von dort aus können sie unterirdisch an wichtige Orte der Stadt gelangen und nach und nach die Hintergründe der Situation erfahren. Rollenspielerisch sehr reizvoll ist dabei das Zusammentreffen mit einem Aleuten-Stamm (arktische Ureinwohner), aus deren Sagen und Überlieferungen weitere Antworten gewonnen werden können. Um die Gefahr abzuwenden, muss der Kampf schließlich zum Großen Alten getragen werden, der in seinem verfluchten Eispalast residiert. „Kaltes Licht“ ist ein überzeugendes Survival-Abenteuer vor einem überschaubaren aber frei erkundbaren Ort.

In „Jahrhundertwinter“ geht es ebenfalls um eine frostige Bedrohung, da ein wahnsinniger Anhänger der Welteislehre danach trachtet, Ithaqua zu befreien, um mit ihm die Erde mit ewigem Eis zu überziehen. Dabei beginnt das Abenteuer für die Investigatoren unspektakulär mit der Suche nach einem antiquarischen Buch in Prag. Dabei ist ihnen jedoch ein Kontrahent zuvor gekommen. Bei der Verfolgung des Widersachers erleben sie im böhmischen Mittelgebirge schmerzhaft die wachsende Kraft des Winters und treffen in einem Showdown auf dem Donnersberg auf den Welteisgläubigen und sein beschworenes Schnee-Ding. Im Gegensatz zu „Kaltes Licht“ ist dieses Szenario deutlich linearer aufgebaut. Gleichzeitig ist es das Abenteuer mit der geringsten Apokalypsen-Tragweite des Bandes, da es durchaus auch vor dem Hintergrund einer „normalen“ Cthulhu-Geschichte spielen könnte. Dennoch lebt das Abenteuer von den Survival-Aspekten und dem greifbaren Lokalkolorit in Prag und im Böhmischen Mittelgebirge.

„Das Moebius-Band“ versetzt die Investigatoren in eine Welt, die durch das Erwachen Cthulhus in den Abgrund stürzte. In diesem Szenario erleben die Investigatoren den Weltuntergang hautnah in Form von Schlaglichtszenen mit und versuchen schließlich irgendwie in der Post-Apokalypse nach Cthulhus Ankunft zu überleben. Bei einer Expedition auf der Suche nach Wasservorräten in den Ruinen des untergegangenen New Yorks finden sie schließlich einen arkanen Zeitreiseapparat, der sie in die Vergangenheit katapultiert und ihnen die Möglichkeit bietet, das Erwachen Cthulhus zu verhindern. Dabei durchlaufen sie verschiedene Zeitschleifen, bis sie genügend Informationen zusammengetragen haben und unter Umständen in R?lyeh das Erwachen Cthulhus verhindern können. Durch die verschiedenen Zeitsprünge und die komplexen Plotbausteine kann sich das Abenteuer sehr schnell zu einer längeren Kampagne ausweiten, die gleichzeitig auch hohe Anforderungen an den Spielleiter stellt, der in dem komplexen und dichten Geschehen die Übersicht behalten muss. Dank der außergewöhnlichen Handlung und dem tollen Zeitreiseansatz gehört das Abenteuer – das man fast schon Mini-Kampagne nennen kann – zu den herausragenden „Cthulhu“-Abenteuern der letzten Jahre.

Der außergewöhnliche Titel des vierten Abenteuers „Oneironauten“ leitet sich von den griechischen Begriffen oneiros für „Traum“ und nautes für „Seefahrer“ ab. In diesem fantasievollen Szenario hat Atlach-Nacha sein Netz zwischen den Traumlanden und der Wachen Welt fertiggestellt und sorgt damit für eine Überlagerung der beiden Welten, was zu mysteriösen Ereignissen rund um den Globus führt. Die Spur führt schließlich zu einem Tempel, der sowohl in der Wachen Welt als auch in den Traumlanden existiert. Nach einer gefahrvollen Reise durch beide Welten gelangen die Investigatoren schließlich zu dem Netz Atlach-Nachas, das die Brücke zwischen den Welten bildet – und zu dem Spinnengott. Ein weiteres hervorragendes Abenteuer, das durch seine abenteuerliche mit spektakulären Ausflügen in die Traumlande gespickten Reise sowie einem unverbrauchten Plot überzeugt und problemlos zu einer Mini-Kampagne ausgebaut werden kann.

Den Band schließt das Survival-One-Shot „Die Brut“ ab. Hier steht das individuelle Überleben der Investigatoren im Vordergrund, wenn die Menschheit durch Sporen Eihorts zu zombihaften Wesen degeneriert. Schon durch die Hintergrundgeschichten der vorgefertigten Investigatoren wird klar, dass hier jeder Investigator sich selbst am nächsten steht und es heißt „jeder gegen jeden“. Als Mailand von der Mutation überrannt wird, müssen sich die Investigatoren durch die Hölle von Mailand in Richtung des Flughafens durchschlagen. Unglücklicherweise stürzt das Flugzeug nach einem Angriff durch ein Mythoswesen in den Schweizer Alpen ab. In bester Survival-Manier müssen sich die Investigatoren nun durch eine unwirtliche Umwelt kämpfen und dabei ständig über Leben und Tod entscheiden. Sie wissen, dass es Bunker gibt, die mit Medizin und Lebensmitteln ausgestattet sind – nur als sie schließlich den Bunker finden, erkennen Sie, dass dieser alles andere als eine sichere Zuflucht ist. Zudem treten während des Szenarios vermehrt Infektionsanzeichen bei den Investigatoren auf. „Die Brut“ ist ein spannendes und düsteres Szenario, das an einem Abend gespielt werden kann und zunehmend mit der Paranoia der Spieler bis zur Erkenntnis der völligen Ausweglosigkeit spielt.

Fazit: Der Quellen- und Abenteuerband „Apokalypsen“ überzeugt auf ganzer Linie. Ein informativer Quellenteil führt in das Spielen in der Apokalypse ein, und in fünf hervorragenden Abenteuern können die Investigatoren unterschiedliche Apokalypsen am eigenen Leibe erleben. Während „Kaltes Licht“ und „Jahrhundertwinter“ eher etwas gradlinig und übersichtlich sind, bieten „Das Moebius-Band“ und „Oneironauten“ kleine Mini-Kampagnen in unterschiedlichen Endzeiten. „Die Brut“ rundet mit einem düsteren One-Shot die Abenteuer des Bandes ab. Die hervorragende Mischung aus tollen Settings und außergewöhnlichen, innovativen Geschichten macht „Apokalypsen“ für mich zum bisher besten Band der aktuellen „Cthulhu“-Edition.

Apokalypsen

Quellen- und Abenteuerband
Heiko Gill, Marcel Durer, Julia Knobloch, Kaid Ramdani, u.a.
Pegasus Press 2018
188 S., Hardcover, deutsch
ISBN: 9783957892218
Preis: EUR 19,95

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