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Abenteuer in Mittelerde

Sie sind einfach nicht tot zu kriegen: Brettspiele mit „Der Herr der Ringe“- beziehungsweise „Mittelerde“-Thematik. Haben wir denn nicht mittlerweile schon alles gehabt? Wir durften in Knizias Klassiker den Ringträger bis zum Schicksalsberg begleiten, wir durften den „Ringkrieg“ ausfechten, Gandalfs „Duell“ mit dem Balrog durchstehen und sogar eine gelungene Mittelerde-Variante des Klassikers „Risiko“ erleben. Was kann da schon „Abenteuer in Mittelerde“ noch viel Neues bieten?

von Dominik Cenia

Das Brettspiel „Abenteuer in Mittelerde“ ist unter dem Titel „Quest for Middle-Earth“ bei Fantasy Flight Games erschienen. Die mir vorliegende deutsche Ausgabe stammt jedoch von Kosmos und nicht, wie vielleicht erwartet, vom sonst so üblichen Kooperationspartner, dem Heidelberger Spieleverlag. Dies mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, doch wenn man bedenkt, welch lange Tradition beim Kosmos Spiele in Bezug auf Brettspiele mit „Der Herr der Ringe“-Thematik besteht, mit Sicherheit die richtige Entscheidung.

„Abenteuer in Mittelerde“ behandelt die Zeit kurz nach Bilbos 111. Geburtstag bis kurz vor Frodos Abreise aus dem Auenland. Der Leser des Romans „Die Gefährten“ erfährt in diesen 17 Jahren nur wenig über das, was außerhalb des Auenlandes geschieht, da sich die Handlung des Buches weitgehend auf Frodos alltägliche Probleme konzentriert. Zwar berichten zuerst Gandalf und später auch noch Elronds Rat, was alles in dieser Zeit geschehen ist, doch stehen die Ereignisse dieses Zeitraums trotzdem weitgehend im Dunkeln.

Genau an dieser Stelle ist Fantasy Flight Games in die Bresche gesprungen und hat genau diesen Zeitraum aufgegriffen. Bis zu drei Spieler übernehmen dabei die Rolle von „in den Roman nicht namentlich genannten Helden“, die während der 17 Jahre für Gandalf, Aragorn und Co. nach Zeichen und Bedrohungen des Dunklen Herrschers Ausschau halten. Sie müssen versuchen, Saurons Einfluss zu schmälern und seine „Plots“ zu durchkreuzen. Außerdem haben die Helden die Aufgabe, ihre eigene „geheime“ Mission vor dem Ablauf der 17 Jahre zu erfüllen. Ein weiterer Spieler übernimmt die Rolle von Sauron, dessen Aufgabe es ist, seinen Einfluss über Mittelerde auszuweiten, ebenfalls seinen „geheimen“ Auftrag ins Ziel zu bringen und Plots zu spielen, die wiederum dafür sorgen, dass seine Fortschrittsmarker noch vor dem der Helden das letzte Feld auf der Zeitleiste erreicht.

Zu Beginn wählt jeder Spieler einen von fünf Helden aus. Diese haben unterschiedliche Werte in Tapferkeit, Stärke, Gewandtheit und Kraft. Außerdem gehört zu jedem Heldenbogen noch ein eigener Stapel „Heldenkarten“, die gleichermaßen für die Bewegung als auch für den Kampf und die Lebenspunkte des Abenteurers wichtig sind. Jeder Stapel „Heldenkarten“ besitzt passend zur jeweiligen Figur zahlreiche Sonderkarten mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Während der Elb Argalad sehr viele Karten mit Fernkampfangiffen besitzt, ist der Zwerg Thálin ein eisenharter Nahkämpfer oder die Waldläuferin Beravor eine wahre Überlebenskünstlerin in der Wildnis. Der Sauron-Spieler hat natürlich keine Helden auf seiner Seite, dafür aber einige namhafte Schergen, wie die Schwarze Schlange Suladan, Saurons Mund oder die Ringgeister und den Hexenkönig. Außerdem stehen ihm natürlich die zahllosen Kreaturen Mordors zur Verfügung. Von unterschiedlichen Orks, über Riesenspinnen und Trolle, bis hin zum Balrog, sind seine Ressourcen während des Spiels nahezu endlos.

Der Spielverlauf unterteilt sich in zwei großen Phasen, deren jeweilige Spielregeln nahezu nichts miteinander gemein haben. Saurons Spielzug besteht darin, ausgehend von seinen Schattenfestungen, Einflussmarker auf dem Spielplan zu verteilen oder seinen „Schattenpool“ aufzufüllen. Nur so kann er die notwendigen Plots spielen, die ihm ermöglichen, seine eigenen Marker auf der Fortschrittsleiste vorwärts zu bewegen. Bei den Plots handelt es sich um Karten, die an einem bestimmten Ort Saurons Schergen aktiv werden lassen (etwa Orks aus dem Gundabadberg, Gollums Gefangennahme usw.). Zusätzlich kann Sauron mit Hilfe von Schattenkarten, Monstern und seinen Schergen die Regionen, in denen er aktive Plots hat, von den Helden versuchen abzuschirmen. Damit es der Dunkle Herrscher jedoch nicht zu leicht hat, ist die Anzahl seiner Aktionen pro Runde je nach Anzahl der Helden begrenzt. Außerdem wird für ihn jede Aktion weniger effektiv, je öfter er sie hintereinander ausführt. Möchte der Sauron-Spieler etwa seine Schergen bewegen und Monster ins Spiel bringen, so kann er zu Beginn drei davon befehligen. Möchte er die Aktion ein zweites Mal durchführen, kann er nur noch zwei Schergen oder Monster einsetzen usw. Die Aktionen „erholen“ sich jedoch, sobald eine gewisse Anzahl an Aktionsmarken gelegt wurde.

Die zweite Spielphase besteht aus den Zügen der Helden. Hier kommt wieder einmal eine mittlerweile recht „klassische“ Fantasy-Flight-Games-Spielmechanik zum Einsatz. Die Spieler bewegen ihre Helden über den Spielplan und müssen verschiedene Orte bereisen und dort „forschen“, um Gunst- und Stufenmarker, neue Fertigkeitskarten oder Ausrüstung zu sammeln. Sie können sich mit namhaften Persönlichkeiten wie Gandalf oder Aragorn treffen (die mehr oder weniger zufällig auf dem Spielplan auftauchen), Zufluchten besuchen (Bruchtal, Minas Tirith usw.) sowie Aufträge und kleinere Questen erfüllen. In erster Linie müssen sie aber mit Hilfe der Gunstmarker versuchen, Saurons Plots abzuwerfen, indem sie zu den entsprechenden Orten reisen. Außerdem können sie Saurons Einflussmarker allein durch ihre Anwesenheit an einem Ort abwerfen. Dadurch kann es den Helden gelingen, eine ganze Kette von Orten, die unter Saurons Einfluss stehen, zu durchtrennen, wodurch alle Orte, die in keiner Verbindung mehr zu einer Schattenfeste stehen, automatisch von dessen Einfluss befreit werden.

Wie bei einem Fantasy-Flight-Games-Spiel dieser Größenordnung üblich, gibt es natürlich zahlreiche weitere Faktoren und Möglichkeiten, welche ähnlich wie die zahlreichen kleine Zahnräder und Stellschrauben einer großen Maschine ein großes Ganzes ergeben. So können die Helden beispielsweise auch „auf dunklen Wegen wandeln“, um an die dringend benötigten Gunstmarker zu kommen. Allerdings fangen sie sich dafür Verderbniskarten ein, welche die Eigenschaften des Helden entsprechend negativ verändern können. Auch können die Helden miteinander handeln oder der Sauron-Spieler kann an Orten, an denen sein Einfluss besonders hoch ist, „Bedrohungs-Karten“ ziehen, welche die zusätzlichen Gefahren auf den unsicheren Reisen durch die vom Bösen bedrohten Länder darstellen. Außerdem gibt es je nachdem in welcher Region sich die Helden aufhalten zusätzliche Ereignis- und Begegnungskarten, die mit einem ausgeklügelten „Prioritätsmechanismus“ der Reihe nach abgehandelt werden.

„Abenteuer in Mittelerde“ folgt einem bestimmten Schema. Während es zu Spielbeginn relativ einfach für die Helden ist, die Oberhand zu behalten, wächst Saurons Einfluss und Macht mit zunehmender Spieldauer. Zwar ist es möglich, dass die eine Seite der anderen „davonzieht“, doch bremsen einige Spieleffekte diesen Siegeszug bewusst aus, um das Spiel durchgehend spannend zu halten. Auch sorgt das völlige Fehlen von Würfeln oder ähnlichen Mechanismen dafür, dass viele Elemente des Spiels überaus planbar und ausgeglichen erscheinen. Natürlich bis auf ein wenig Glück oder Zufall beim Ziehen der Plot-, Schatten- oder Begegnungskarten.

Das Spiel verbindet bekannte Elemente wie das „Tokens sammeln“ (z. B. aus „Android“) oder das „Quests lösen und den eigenen Helden verbessern“ (z. B. aus „Runebound“) und verpackt sie gelungen in die „Mittelerde“-Thematik. Auch der Zug des Sauron-Spielers basiert teilweise auf bekannten Elementen. Er bewegt im großen Stil seine Monster und weitet seinen Einfluss aus, spielt Schattenkarten oder macht mit seinen Schergen Jagd auf die Helden („Der Ringkrieg“ lässt grüßen). Gewürzt ist das Ganze mit einer ordentlichen Portion „Rollenspielthematik“. Denn die meisten Karten sind mit umfangreichen Hintergrundtexten und Zitaten aus der Romantrilogie gespickt. Dadurch, dass während einer Partie auch stets nur ein paar der viele Ereignis- und Plotkarten zum Einsatz kommen (denn bestimmte Kartensätze werden je nach Status der Fortschrittsleiste durch andere ersetzt), wird man der „rollenspielerischen Elemente“ auch nicht so schnell müde, wie bei anderen Spielen ähnlicher Machart.

Wirft man zu guter Letzt einen Blick auf das Spielmaterial, die Ausstattung und die Komplexität der Spielregeln, so gibt es hier zwei verschiedene Tendenzen. Der wirklich riesige Spielplan von Mittelerde ist wahrlich ein „echter Augenöffner“, und auch das restliche Spielmaterial ist wie immer tadellos, hochwertig illustriert und mit zahlreichen spannenden Feinheiten versehen. Die deutsche Übersetzung von Kosmos, sowohl was die 40 Seiten starke Spielanleitung (zu Beginn eine gewisse Hürde, aber machbar) als auch die gesamten Kartentexte angeht, ist in meinen Augen tadellos gelungen.

Allerdings besitzt das Spiel auch eine Unmenge an Tokens und unterschiedlichen Spielkarten, die beinahe alle einen ganz bestimmten Platz auf dem Spielbrett haben. Dadurch dauert der Aufbau des Spiels etwas länger, als man es von anderen Spielen vielleicht gewohnt ist (wenn es auch nicht ganz so schlimm wie etwa bei „Der Ringkrieg“ ist). Die farbliche Kodierung der einzelnen Karten mit den unterschiedlichen Orten ist durchaus durchdacht, muss aber auch erst einmal verstanden werden. Die wenigen aber dafür umso schöneren Spielfiguren aus Plastik sind auch etwas ungünstig in der ausladenden Spielschachtel untergebracht worden. Einfach nur lose in einem Plastikbeutel verpackt, brechen kleine Teile schon beim Transport vom Hersteller zum Händler leicht ab. Was die deutsche Ausgabe angeht, ist Kosmos da meines Wissens allerdings ein vorbildlicher Spieleverlag, der sehr schnell und vor allem kulant reagiert, wenn es um entsprechende Ersatzteile geht.

Fazit: „Abenteuer in Mittelerde“ bietet sehr viel. Sowohl für die Helden als auch den Spieler Saurons sollte auch nach mehreren Partien noch keine Langeweile aufkommen, da die zahlreichen Mechanismen rund um Tokens, Plot- und Begegnungskarten, Monster- und Heldenkarten sowie die verschiedenen Aufträge (fünf für jede Seite) genug Abwechslung bieten. Die Aufmachung des Spiels ist wirklich phantastisch, allerdings bringt all das Material natürlich auch einen gewissen Grad an Verwaltungsaufwand mit sich. Die Spieldauer ist, für ein Fantasy-Flight-Games-Spiel üblich – gut mit drei bis vier Stunden anzusetzen. Wahrscheinlich sogar etwas schneller, sobald die Spielzüge und Optionen nach mehrmaligem Spielen in Fleisch und Blut übergangen sind.

Alles in allem ist „Abenteuer in Mittelerde“ ein überaus empfehlenswertes Brettspiel für jeden „Mittelerde“-Veteran, der schon so einige „Der Herr der Ringe“-Brettspiele im Schrank stehen hat. Hier wird einem jenseits der Ereignisse des Ringkriegs oder der Wanderung der Hobbits endlich mal wieder etwas Neues geboten. Für mich, neben dem Klassiker von Knizia, ab sofort eines der besten Brettspiele zu „Mittelerde“.


Abenteuer in Mittelerde
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
C. Konieczka, C. T. Petersen, T. Uren
Fantasy Flight Games / Kosmos 2009
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 59,99

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