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Unknown Armies

„Unknown Armies“ bezeichnet sich selbst als ein Rollenspiel um Macht und Konsequenzen. Was damit genau gemeint ist, lässt sich auf den 440 Seiten im Hardcover-Band genauer nachlesen. Wer wagt sich in den okkulten Untergrund oder in das Verwirrspiel aus verschiedenen weltweiten Verschwörungstheorien? Glaubst du wirklich, dass die Welt nur das ist, was sie zu sein scheint?

von Dominik Cenia

 

Die erste Ausgabe des Rollenspiels „Unknown Armies“ ist 1998 bei Atlas Games in den USA erschienen. 2002 folgte eine zweite Auflage, an der sich auch die deutsche Ausgabe des Vortex Verlags orientiert. Seit gut einem Jahr macht die deutsche Ausgabe des Rollenspiels von sich reden: ein Horror-Rollenspiel, abseits der ausgetretenen Pfade von schleimigen Tentakelmonstern oder übermächtigen Vampiren. „Unknown Armies“ ist damit vor allem ein modernes Horror-Rollenspiel, das sich am ehesten noch mit „KULT“ vergleichen lässt.

Wobei der Vergleich mit „KULT“ dem eigentlich auch nicht gerecht wird. Denn während bei „KULT“ der Horror eher irgendwo zwischen „Hellraiser“ und „Silent Hill“ pendelt oder bei „Cthulhu“ der Schrecken ein namenloses Grauen jenseits der Sterne ist, lässt sich „Unknown Armies“ nicht so einfach einem Horror-Genre zuordnen. Doch genau das möchte das Spiel auch gar nicht. Das Rollenspiel soll für verschiedene Settings spielbar sein, obwohl dem Ganzen natürlich auch ein eigener Hintergrund zu Grunde liegt.

In „Unkown Armies“ geht es hauptsächlich um den so genannten okkulten Untergrund, ein Netzwerk aus geheimen Gesellschaften, Verschwörungstheorien, Magie und Zauberei und einer allumfassenden Wahrheit über die wirkliche Beschaffenheit des Universums. Die Spieler übernehmen die Rolle von ganz gewöhnlichen Menschen unserer Zeit, die auf die eine oder andere Weise mit dem okkulten Untergrund in Berührung kommen. Dabei ist nicht genauer definiert, wie dieses Erlebnis aussehen muss. Das Buch bietet allerdings einige Beispiele, wie man die Charaktere, mal mehr und mal weniger subtil, mit dem Horror in Berührung bringen kann.

„Unkown Armies“ lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen spielen, je nachdem mit welchem Hintergrundwissen die Charaktere zu Spielbeginn bereits ausgestattet sind. Die Charaktere können also einfach nur völlig unbefleckte, stinknormale Typen sein oder echte Experten, die selbst ein Teil des okkulten Untergrunds darstellen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und lassen sich noch beliebig verfeinern.

Allgemein kann man festhalten, dass es vor allem die Hintergrundinformationen sind, die das Spiel in „Unkown Armies“ prägen. Ob die Charaktere einfach nur einer groben Verschwörungstheorie im Stil des Films „23 – Nichts ist so wie es scheint“ nachgehen oder in ein echtes Horror-Szenario mit Dämonen, Zombies und jede Menge Magie geworfen werden, wird durch die vorher zugänglich gemachten Informationen bestimmt. Dadurch lässt sich das Rollenspiel auf viele unterschiedliche Weisen spielen. Wer einfach nur einen netten okkulten One-Shot für Zwischendurch sucht, kann genauso bedient werden, wie jemand, der lieber mit seiner Gruppe auf der Suche nach Gott ist (der irgendwo in einem Wohnwagen in Nevada wohnen soll).

Um dem Ganzen noch weitere Anreize und mehr Ideen zu bieten, ist das ganze Buch mit verschiedenen Zitaten gespickt. So etwa: „Wenn man sich die Mühe macht, die Telefonnummern an den Wänden öffentlicher Toiletten zu untersuchen, wird man auf die geheime mathematische Formel unseres Kosmos stoßen“. Oder: „In jeder Tafel Schokolade befinden sich immer acht Insektenbeine. Und es gibt tatsächlich jemanden, der dafür sorgt, dass sie dort hineingelangen“.

Allein wegen der ganzen Zitate macht es unglaublich viel Spaß, das „Unkown Armies“-Regelbuch zu lesen. Der übrige Text besteht aus den Spielregeln, verschiedenen Kurzgeschichten und jeder Menge Hintergrundinformationen. Das Material schwankt dabei immer zwischen einer gewissen sarkastischen Ironie und ernsthaften Horror hin und her. Insgesamt lässt sich das ganze Buch wirklich gut lesen, wobei allerdings auch ein gewisser Anspruch an den Leser herrscht. Die schicken Illustrationen und die recht schlichte Aufmachung stimmen dabei sehr gut mit den Texten überein und bilden eine gelungene Gesamtoptik.

Das Regelsystem von „Unkown Armies“ ist bewusst einfach gehalt. Man würfelt mit dem W100. Die Werte der Charaktere sind in Prozenten angegeben. Ein Charakter besteht aus vier Attributen (Körper, Schnelligkeit, Verstand, Seele), denen wiederum mehrere Fertigkeiten zugeordnet sind. Außerdem verfügt jeder Charakter über unterschiedliche Arten von Temperamenten, die sich in Wut, Furcht und Tugend unterteilen lassen. Charaktere in „Unkown Armies“ sollen bewusst mit wenigen Fertigkeiten auskommen, da das Spiel in erster Linie aus dem Hintergrund und nicht aus den Regelmechanismen bestehen soll. Die Werte der einzelnen Fertigkeiten fallen außerdem recht niedrig aus, was darin begründet ist, dass Menschen unter Stress ohnehin kaum in der Lage sind, ihre wenigen Fähigkeiten sinnvoll anzuwenden.

Insgesamt ist das Regelwerk zweckmäßig geworden, aber auch recht oberflächlich ausgefallen. Kämpfen sollte man lieber aus dem Weg gehen, denn diese laufen meist überaus tödlich ab. Was mir an dem Kampfsystem allerdings gefallen hat, sind die Auswirkungen und Beschreibungen der Schusswaffen. Welche Rückstände hinterlässt eine Kugel? Wie kann man dadurch einen Mord nachweisen? Wie steht es um die Rechtslage hinsichtlich Waffen in den USA oder in Deutschland?

Ergänzt wird das Regelwerk noch durch einige Magieregeln wie Zauberformeln, Rituale oder Artefakte. Auch hier sind die Regeln recht frei und offen gestaltet. Zwar sind ein paar typische Rituale und Zaubersprüche aufgelistet, im Großen und Ganzen haben aber auch hier Spieler und Spielleiter recht freie Hand.

Im vierten und letzten Teil des Buchs werden dem Spielleiter noch einmal das nötige Handwerkszeug sowie einige weitere Informationen über den okkulten Untergrund mit auf den Weg gegeben. Außerdem gibt es ein schönes Kapitel mit Tipps zum Leiten eines Rollenspiels, zum Einsatz der Stimme und dem Aufbau der richtigen Dramatik.

Wie bereits erwähnt, bietet „Unkown Armies“ auch eine eigene Erklärung für den okkulten Untergrund an (Stichwort Archetypen, Gottläufer…). Allerdings hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass es sich dabei nur um eine einfache und recht unverbindliche Lösungsvariante für all die Geheimnisse von „Unkown Armies“ handelt. Das Hauptmerkmal liegt dann doch eher darauf, dass Spieler und Spielleiter zusammen vorher lieber ein eigenes Setting beziehungsweise einen eigenen Rahmen für den okkulten Untergrund absprechen.

In gewisser Hinsicht bietet „Unkown Armies“ also einen umfangreichen Koffer voller verschiedener Ideen an, die sich gleichermaßen für reinen Horror als auch für Verschwörungsthriller anbieten. Damit ist das Spiel natürlich, wie bereits erwähnt, wunderbar für schnelle Kurzabenteuer geeignet. Umfangreichere Kampagnen verlangen nämlich schon etwas mehr Arbeit vom Spielleiter, denn er muss abwägen, welche Hintergrundansätze er in seiner Kampagne unterbringen will.

Mir persönlich hat das Lesen von „Unkown Armies“ wirklich viel Spaß gemacht. Doch irgendwie bin ich dabei nicht das Gefühl losgeworden, dass „Unkown Armies“ trotz allem einen recht schweren Stand hat. Okay, es ist ein modernes Horror-Rollenspiel um Verschwörungen und okkulte Geheimnisse. Doch während es bei „KULT“ das fesselnde Setting von Metroplis gibt oder bei „Cthulhu“ – gerade dank „Cthulhu Now“ die vielleicht härteste Konkurrenz – der Mythos den Hintergrund bildet, bietet „Unkown Armies“ irgendwie kein festes Setting an. Man kann gleichermaßen „Akte X“-mäßige Abenteuer spielen, aber auch Zombie-Action im Kaufhaus, oder John Carpenters „Sie leben!“. Diese Vielfalt ist natürlich reizvoll, sorgt aber wohl auch dafür, dass es den Spielern nicht ganz einfach gemacht wird, einen Weg in das Setting von „Unkown Armies“ zu finden. Am besten spielt man also einfach drauflos und geht von einer völlig normalen Welt aus. Und erst langsam sollte den Spielern bewusst werden, dass es eine Vielzahl von Facetten und Ansätzen gibt, mit denen man „Unkown Armies“ erleben kann.

Fazit: Das Rollenspiel „Unkown Armies“ bietet eine große Vielfalt an Spielmöglichkeiten, eingebettet in einen lockeren okkulten Hintergrund. Der okkulte Untergrund als Netzwerk aus verschiedenen Verschwörungstheorien, Halbwahrheiten, Magie und schrecklichen Geheimnissen bildet dabei mit Sicherheit das reizvollste Spielethema. Doch auch actionreiche Kurzabenteuer sind dank der einfachen Spielregeln gut möglich. Für erfahrene Rollenspieler, die gegenüber einem modernen Setting nicht abgeneigt sind, also ein echter Geheimtipp. Besitzer von „KULT“ oder „Cthulhu“ können sich allerdings vorher überlegen, ob sie nicht „Unkown Armies“ einfach nur als Ideengeber für ihr eigenes Rollenspiel verwenden wollen.

Unknown Armies – Ein Rollenspiel um Macht und Konsequenzen Grundregelwerk Greg Stolze Vortex Verlag 2005 ISBN: n.a. 440 S., Hardcover, deutsch Preis: EUR 42,95 bei pegasus.de bestellen

Links:

 

www.unknown-armies.de